Invalidenrenten der Unfallversicherung

Ein Unfall ist kaum vorhersehbar, tritt plötzlich ein und führt oft zu einschneidenden finanziellen Konsequenzen. Wird eine Person als Folge eines Unfalls arbeitsunfähig und kann von der medizinischen Behandlung keine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen das bisher ausgerichtete Unfallversicherungstaggeld durch eine Invalidenrente abgelöst wird.  

Dieses Kapitel behandelt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Unfallversicherungsrente, die natürliche und die adäquate Kausalität sowie Fragen nach der Höhe, dem Beginn, der Kürzung und dem Ende der Rente. Da bei einer unfallbedingten Invalidität oft auch die IV Leistungen erbringt, wird auch die Koordination mit der IV dargelegt und die Berechnung von Komplementärrenten erläutert. Erklärt wird zudem, wann Unfallversicherungsrenten angepasst und aus besonderen Gründen gekürzt werden können.


    Rentenanspruch

    Im Gegensatz zur IV besteht in der Unfallversicherung bereits ab einem Invaliditätsgrad von 10% Anspruch auf eine Rente. Anders als bei der IV ist bei der Unfallversicherung nur die Erwerbstätigkeit und nicht auch die Haushalttätigkeit versichert. Der Invaliditätsgrad wird daher nicht nach unterschiedlichen Bemessungsmethoden, sondern ausschliesslich nach der Methode des Einkommensvergleichs ermittelt.

    Dabei wird als Valideneinkommen (Einkommen, das die betreffende Person ohne unfallbedingte Beeinträchtigung erzielen würde) immer der Lohn aus einer vollen Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Dies bedeutet, dass das massgebliche Einkommen bei einer teilerwerbstätigen Person auf ein 100%-Pensum aufgerechnet wird, unabhängig davon, zu wieviel Prozent die Person vor dem Unfall tatsächlich angestellt war. Dieses Valideneinkommen wird sodann dem Invalideneinkommen (Einkommen, das die betreffende Person zumutbarerweise noch erzielen könnte) gegenübergestellt. Die Rente richtet sich prozentgenau nach dem daraus resultierenden Invaliditätsgrad.

    Dabei wird als Valideneinkommen (Einkommen, das die betreffende Person ohne unfallbedingte Beeinträchtigung erzielen würde) immer der Lohn aus einer vollen Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Dies bedeutet, dass das massgebliche Einkommen bei einer teilerwerbstätigen Person auf ein 100%-Pensum aufgerechnet wird, unabhängig davon, zu wieviel Prozent die Person vor dem Unfall tatsächlich angestellt war. Dieses Valideneinkommen wird sodann dem Invalideneinkommen (Einkommen, das die betreffende Person mit unfallbedingter Beeinträchtigung zumutbarerweise noch erzielen könnte) gegenübergestellt. Die Rente richtet sich prozentgenau nach dem daraus resultierenden Invaliditätsgrad.

    Beispiel

    Im Zeitpunkt des Unfalls war Herr H in einem 70%-Pensum angestellt und erzielte ein Jahreseinkommen von 70‘000 Franken. Aufgrund der Unfallfolgen kann er seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben. In einer angepassten Tätigkeit ist Herr H noch zu 50% arbeitsfähig und könnte dabei ein Jahreseinkommen von 40‘000 Franken erzielen. Bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades rechnet die Unfallversicherung das bisherige, in einem 70%-Pensum erwirtschaftete Einkommen auf ein 100%-Pensum auf. Dies ergibt ein Valideneinkommen von 100‘000 Franken. Verglichen mit dem Invalideneinkommen von 40‘000 Franken resultiert ein Invaliditätsgrad von 60%. Herr H erhält somit eine 60%-Rente.

    Natürliche und adäquate Kausalität

    Damit eine Rente zugesprochen werden kann, muss zwischen dem Unfall (bzw. der Berufskrankheit) und der Invalidität sowohl ein natürlicher als auch ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen.

    Der natürliche Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn ohne Unfall (bzw. Berufskrankheit) die Invalidität gar nicht, nicht in gleicher Stärke oder nicht im gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre. Der Unfall muss also nicht die alleinige oder unmittelbare Ursache sein. Ist die Unfallkausalität einmal ärztlich nachgewiesen, so entfällt die Leistungspflicht des Unfallversicherers erst dann, wenn der Gesundheitsschaden nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht, die Unfallkausalität also wegfällt.  

    Der adäquate Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn eine Ursache (z.B. ein sehr schwerer Verkehrsunfall) nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, eine bestimmte Wirkung (z.B. eine psychische Beeinträchtigung) auszulösen. Mit dem Begriff der Adäquanz soll eine vernünftige Begrenzung der sich aus der natürlichen Kausalkette ergebenden Tatsachen und damit der Haftung erreicht werden. Der adäquate Kausalzusammenhang ist vor allem bei Unfällen mit psychischen Folgen und bei Unfällen mit Schleudertraumata relevant und führt nicht selten zu Streitigkeiten. Gestützt auf die Gerichtspraxis ist in diesen Fällen die Schwere des Unfalls massgebend.

    Beispiel

    Frau A ist Rechtsanwältin und erleidet einen schweren Motorradunfall mit Querschnittlähmung. Zwischen dem Unfall und der aufgrund der körperlichen Verletzungen bestehenden Arbeitsunfähigkeit ist vorerst klar ein natürlicher und auch ein adäquater Kausalzusammenhang gegeben.
    Nach mehreren Rehabilitationsaufenthalten und nach Anpassung ihres Arbeitsplatzes wäre Frau A aus körperlicher Sicht wieder voll einsatzfähig. Da sie aber seit dem Unfall zusätzlich an Depressionen leidet, kann sie ihre Tätigkeit noch nicht aufnehmen. Die Unfallversicherung wird nun prüfen, ob die verbleibende psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall steht und wird dabei die Schwere des Unfalls berücksichtigen. Verneint sie den adäquaten Kausalzusammenhang, beachtet sie nur die durch die Querschnittlähmung verursachte Erwerbseinbusse. Beträgt diese weniger als 10%, erhält Frau A von ihrer Unfallversicherung keine Rente.

    Rentenhöhe

    Die Höhe der Rente richtet sich nach dem sogenannten versicherten Verdienst, das heisst nach demjenigen Bruttolohn (zuzüglich Familienzulagen), den die Person im letzten Jahr vor dem Unfall erzielt hat. Das Gesetz hat den versicherten Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung auf maximal 148‘200 Franken begrenzt. Wer vor dem Unfall also ein Jahreseinkommen von über 148‘200 Franken erzielt hat, ist für den darüber liegenden Betrag nur versichert, wenn der Arbeitgeber eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat.

    Bei einer Invalidität von 100% beträgt die jährliche Rente 80% des versicherten Verdienstes. Bei einer Teilinvalidität reduziert sich der jährliche Rentenbetrag entsprechend. Beträgt der Invaliditätsgrad weniger als 10%, besteht kein Anspruch auf eine Rente. Im Gegensatz zur IV richtet die Unfallversicherung keine Kinderrenten aus.

    Beispiel

    Die Unfallversicherung ermittelt bei Frau K einen Invaliditätsgrad von 100% und spricht ihr eine volle Rente zu. Da sie vor dem Unfall ein Jahreseinkommen von 85‘000 Franken erzielt hat, beträgt ihre Rente 68‘000 Franken pro Jahr (80% von 85‘000 Franken) bzw. 5‘667 Franken pro Monat. Würde der Invaliditätsgrad nur 75% betragen, würde Frau K eine Rente von 51‘000 Franken pro Jahr (75% von 68‘000 Franken) bzw. 4‘250 Franken pro Monat erhalten.

    Beginn, Ende und Kürzung des Rentenanspruchs

    Der Rentenanspruch entsteht, sobald von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann, und wenn allfällige Eingliederungsmassnahmen der IV abgeschlossen sind. Mit dem Beginn der Rente endet der Anspruch auf das bisher ausgerichtete Unfallversicherungstaggeld. Die Unfallversicherung übernimmt in der Regel von diesem Moment an auch keine Heilbehandlungskosten mehr.

    Beispiel

    Herr S ist Bankangestellter und erleidet bei einem Verkehrsunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Während der langwierigen Behandlungs- und Regenerationszeit erhält er ein Unfallversicherungstaggeld. Da die IV ein Jahr nach dem Unfall eine ganze IV-Rente ausrichtet, werden die Unfallversicherungstaggelder in dieser Zeit wegen Überentschädigung gekürzt.
    Drei Jahre nach dem Unfall kann von der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung mehr erwartet werden und die Unfallversicherung fällt einen Rentenentscheid. Da Herr S für eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft arbeitsunfähig bleibt, erhält er nach rund 3 Jahren und gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 100% auch von der Unfallversicherung eine volle Rente.

    Im Gegensatz zur Rente der IV endet die Rente der Unfallversicherung nicht mit dem Erreichen des AHV-Alters, sondern wird bis zum Tod der rentenbeziehenden Person weiter ausgerichtet. Ereignet sich der Unfall aber erst nach Erreichen des AHV-Alters, besteht kein Anspruch auf eine Rente der Unfallversicherung.

    Bei einem Unfall nach dem 45. Altersjahr wird die Rente bei Erreichen des AHV-Alters allerdings wie folgt gekürzt:

    • Bei einem Invaliditätsgrad unter 40% wird die Rente für jedes Jahr, welches die Person im Unfallzeitpunkt älter als 45 Jahre war, um 1% gekürzt. Es kann also zu einer Kürzung von bis zu 20% kommen.
    • Bei einem Invaliditätsgrad von über 40%, der auch Anrecht auf eine IV-Rente der Invalidenversicherung gibt, wird die Rente für jedes Jahr, welches die Person im Unfallzeitpunkt älter als 45 Jahre war, um 2% gekürzt. Die Kürzung ist somit doppelt so hoch und beträgt maximal 40%.

    Für Personen, die zum Zeitpunkt des Unfalls 45 Jahre oder älter waren und deren Unfall vor dem 1. Januar 2017 erfolgt ist (Zeitpunkt der Revision des Unfallversicherungsgesetzes und der Einführung der Kürzungsbestimmung), gilt eine Ausnahme: Ihre Rente wird nur dann gekürzt, wenn sie das AHV-Referenzalter ab dem Jahre 2025 erreichen. Der Umfang der Kürzung ist vom Zeitpunkt des Eintritts des AHV-Referenzalters abhängig. Bei Personen, die das AHV-Referenzalter ab 2029 erreichen, erfolgt eine volle Kürzung.

    Beispiel

    Herr H ist 38 Jahre alt, als er einen Unfall erleidet. Gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 55% und aufgrund seines Jahreseinkommens von 80‘000 Franken erhält er eine Rente der Unfallversicherung von 35‘200 Franken pro Jahr bzw. 2‘934 Franken pro Monat. Da er im Zeitpunkt des Unfalls unter 45 Jahre alt war, erhält er die Rente auch nach Erreichen des AHV-Alters unverändert weiter ausgerichtet. 

    Wäre Herr H im Zeitpunkt des Unfalls bereits 53 Jahre alt gewesen, würde seine Rente ab Erreichen des AHV-Alters für jedes Jahr, das Herr H im Unfallzeitpunkt älter als 45 Jahre war, um 2% gekürzt. Die Kürzung würde somit 16% (8 Jahre x 2%) bzw. 5‘632 Franken betragen. Im Alter von 65 Jahren würde er also lediglich noch eine Rente der Unfallversicherung von 29‘568 Franken pro Jahr bzw. 2‘464 Franken pro Monat erhalten.

    Komplementärrente und Koordination mit der IV

    Wer einen Unfall mit einer bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigung erleidet, hat neben dem Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung oft auch Anspruch auf Leistungen der IV.

    Bezahlen sowohl die IV als auch die Unfallversicherung eine Invalidenrente, gewährt die Unfallversicherung nur eine sogenannte Komplementärrente. Dies bedeutet, dass die Rente der Unfallversicherung gekürzt wird, wenn sie zusammen mit der Rente der IV 90% des letzten vor dem Unfall erzielten Jahresverdienstes übersteigt. Die Rente der IV und der Unfallversicherung dürfen zusammen also nicht mehr als 90% des letzten Jahresverdienstes betragen.

    Beispiel

    Herr S aus dem obigen Beispiel erhält nun also eine ganze Rente der IV und eine volle Rente der Unfallversicherung (Komplementärrente). Da er vor dem Unfall einen Jahresverdienst von 120‘000 Franken erzielt hat, dürfen die beiden Renten zusammen nicht mehr als 108‘000 Franken (90% von 120‘000 Franken) betragen. Neben der Rente der IV von 2‘200 Franken pro Monat bzw. 26‘400 Franken pro Jahr erhält Herr S von der Unfallversicherung somit eine Komplementärrente von 6‘800 Franken pro Monat bzw. 81‘600 Franken pro Jahr. Die Unfallversicherung hat ihre Rente somit um 14'400 Franken pro Jahr bzw. 1'200 Franken pro Monat gekürzt.

    Solange die IV im Rahmen einer beruflichen Massnahme ein IV-Taggeld bezahlt, erbringt die Unfallversicherung keine Rentenleistungen. Kann von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine erhebliche Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden, fällt die IV ihren Entscheid über berufliche Eingliederungsmassnahmen aber erst später, bezahlt die Unfallversicherung eine sogenannte Übergangsrente. Sobald die berufliche Massnahme der IV und das IV-Taggeld beginnen, erlischt die Übergangsrente wieder.

    Beispiel

    Nach einem Sturz von einem Baugerüst ist Frau T in ihrer bisherigen Tätigkeit als Bauleiterin nicht mehr einsatzfähig. Ihre Firma stellt ihr eine Anstellung im administrativen Bereich in Aussicht. Dafür benötigt Frau T aber noch eine Umschulung. Obwohl die ärztliche Behandlung in der Zwischenzeit abgeschlossen ist, hat die IV den Entscheid über die berufliche Massnahme noch nicht endgültig gefällt. Bis zum Beginn der Umschulung und dem damit zusammenhängenden IV-Taggeld richtet die Unfallversicherung deshalb eine Übergangsrente aus. Bei der Ermittlung des dafür massgeblichen Invaliditätsgrads darf die Unfallversicherung nun aber nur von einem Invalideneinkommen einer noch nicht eingegliederten Person ausgehen.

    Wann können Renten revidiert werden?

    Wie im Bereich der IV können auch die Renten der Unfallversicherung erhöht werden, wenn sich der Gesundheitszustand der rentenbeziehenden Person für mehr als 3 Monate verschlechtert und sich der Invaliditätsgrad dadurch massgeblich erhöht hat.

    Eine solche revisionsweise Erhöhung der Rente ist jedoch nur möglich, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustands im Sinne von Spätfolgen auf den Unfall zurückzuführen ist.

    Beispiel

    Aufgrund eines Unfalls und eines daraus resultierten Invaliditätsgrades von 50% erhält Herr N seit einigen Jahren eine 50%-Rente ausbezahlt. Nachdem sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hat, Herr N zu 100% arbeits- und erwerbsunfähig geworden ist und diese Verschlechterung auf das Unfallereignis zurückzuführen ist, erhöht die Unfallversicherung die 50%-Rente auf eine 100%-Rente.

    Hat sich der Gesundheitszustand für mehr als 3 Monate verbessert und der Invaliditätsgrad dadurch massgeblich reduziert, kann die Unfallversicherung die Rente herabsetzen oder aufheben. Eine rückwirkende Herabsetzung oder Aufhebung ist nur dann möglich, wenn der Rentner oder die Rentnerin die Meldepflicht verletzt hat.   

    Nach Erreichen des AHV-Alters werden die Renten der Unfallversicherung unabhängig von der Entwicklung des Gesundheitszustandes nicht mehr revidiert.

    Wann können Renten aus besonderen Gründen gekürzt werden?

    Erfolgte der Unfall bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens (z.B. Fahren in angetrunkenem Zustand) oder im Zusammenhang mit einem Wagnis, kann die Unfallversicherung die Rente kürzen und in besonders schweren Fällen gar verweigern. Die Rente darf aber nicht verweigert und höchstens um 50% gekürzt werden, wenn die Person im Zeitpunkt des Unfalls für Angehörige zu sorgen hat.

    Auch wenn die Invalidität nur teilweise auf einen Unfall zurückzuführen ist, kann die Unfallversicherung die Rentenleistungen kürzen. Allerdings darf die Rente nicht gekürzt werden, wenn die vorbestehende (unfallfremde) gesundheitliche Beeinträchtigung für sich allein keine Verminderung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hatte.

    Beispiel

    Frau M fährt mit übersetzter Geschwindigkeit und verursacht einen Autounfall, bei dem sie sich schwere Verletzungen zuzieht und invalid wird. Da der Unfall bei der Ausübung eines Vergehens (Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit) erfolgt ist, kürzt die Unfallversicherung ihre Rentenleistungen um 20%.

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