Unfallversicherungstaggeld

Ein Unfall ist kaum vorhersehbar, tritt plötzlich ein und führt oft zu einschneidenden finanziellen Konsequenzen. Wird eine Person als Folge eines Unfalles arbeitsunfähig, stellt sich unter anderem die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Anspruch auf ein Taggeld hat. Diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit dem Unfallversicherungstaggeld beantworten wir in diesem Kapitel.


    Obligatorische Versicherung

    Alle in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmenden sind obligatorisch unfallversichert. Als Arbeitnehmende gelten Personen in einem Arbeitsverhältnis mit Lohnzahlungspflicht. Nicht von Bedeutung ist, ob eine Person krank ist oder eine Behinderung hat. Sobald sie in einem Arbeitsverhältnis steht, muss sie vorbehaltlos gegen die Folgen von Unfällen versichert werden. Arbeitnehmende sind selbst dann versichert, wenn ihr Arbeitgeber es unterlassen hat, eine Versicherung abzuschliessen oder die Prämien zu zahlen. In diesem Fall werden die gesetzlichen Leistungen entweder von der SUVA (bei Betrieben, die der SUVA zugeteilt sind) oder von der sogenannten Ersatzkasse erbracht.

    Ebenfalls obligatorisch versichert sind zudem alle Bezüger und Bezügerinnen eines Arbeitslosentaggeldes sowie Personen, die an einer IV-Massnahme teilnehmen und dadurch in einem arbeitsvertragsähnlichen Verhältnis stehen..  

    Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmende, deren Arbeitszeit weniger als 8 Stunden pro Woche beträgt, sind nur gegen Berufsunfälle versichert. Bei Nichtberufsunfällen besteht dann kein Versicherungsschutz im Rahmen der obligatorischen Unfallversicherung. Unfälle auf dem Arbeitsweg gelten bei diesen Personen aber als Berufsunfälle.  

    In der Schweiz wohnhafte Selbständigerwerbende und ihre nicht obligatorisch versicherten mitarbeitenden Familienangehörigen (z.B. Personen, die ohne Lohn im Betrieb ihres Ehegatten arbeiten) können sich freiwillig versichern lassen.  

    Nicht versichert sind alle übrigen Personen: im Haushalt arbeitende Personen, Studierende, Kinder und nicht erwerbstätige Rentnerinnen und Rentner. Diese Personen müssen sich bei einem Unfall entweder mit den Leistungen ihrer Krankenkasse begnügen (Übernahme von Behandlungskosten mit Kostenbeteiligung) oder diese durch eine private Zusatzversicherung ergänzen.

    Beispiel

    Frau H hat eine kaufmännische Grundausbildung und half bisher bei Bedarf ohne Lohn in der Buchhaltung des Malergeschäfts ihres Ehemannes aus. Obwohl es möglich gewesen wäre, sich freiwillig der UVG-Versicherung anzuschliessen, hat sie dies nicht getan.

    Neu arbeitet Frau H während 6 Stunden pro Woche als Buchhalterin in einem kleineren Reisebüro. Durch diese Tätigkeit ist sie für Berufsunfälle obligatorisch versichert, das heisst für Unfälle, die sich bei der Arbeit oder auf dem Arbeitsweg ereignen. Würde Frau H im Reisebüro mehr als 8 Stunden pro Woche arbeiten, wäre sie auch für Nichtberufsunfälle (z.B. Skiunfall in der Freizeit) obligatorisch versichert.

    Wann liegt ein Unfall oder eine Berufskrankheit vor?

    In der obligatorischen Unfallversicherung sind sowohl die Folgen von Unfällen wie auch die von Berufskrankheiten versichert.

    Als Unfall gilt die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper. Den Unfällen gleichgestellt sind gewisse Körperschädigungen, auch wenn es an einer ungewöhnlichen Einwirkung fehlt (z.B. Knochenbrüche, Verrenkungen, Meniskusrisse, Muskelrisse und -zerrungen, Sehnenrisse, Bandläsionen oder Trommelfellverletzungen). Versichert sind auch Rückfälle und Spätfolgen sowie unter gewissen Voraussetzungen auch Schädigungen, die einer Person bei einer Heilbehandlung zugefügt wuerden (z.B. durch ärztliche Kunstfehler).

    Beispiel

    Herr L ist vor einigen Jahren vollständig erblindet. Er arbeitet während 5 Stunden pro Tag als kaufmännischer Angestellter und erhält daneben eine IV-Rente. Während seiner Ferien in Italien stürzt er über ein Hindernis auf dem Trottoir und zieht sich dabei eine komplizierte Knieverletzung zu.

    Der Sturz von Herrn L erfüllt den Unfallbegriff: Es liegt eine plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper vor. Nicht von Bedeutung ist, dass eine sehende Person an dieser Stelle kaum gestürzt wäre, dass also die Sehbehinderung für den Unfall mitverantwortlich ist, denn auf die Ursache des Unfalls kommt es nicht an. Da Herr L mehr als 8 Stunden pro Woche als Arbeitnehmer tätig ist, ist er auch für Nichtberufsunfälle voll versichert, und zwar auch für solche im Ausland.

    Ebenfalls versichert sind Berufskrankheiten. Darunter fallen Krankheiten, welche bei der beruflichen Tätigkeit vorwiegend oder ausschliesslich durch gewisse Stoffe oder Arbeiten verursacht worden sind. Die anerkannten Stoffe und Arbeiten sind in einer Liste aufgeführt. Auch andere Krankheiten, die nachgewiesenermassen stark überwiegend durch eine berufliche Tätigkeit verursacht worden sind, gelten als Berufskrankheit.

    Beispiel

    Frau B arbeitet in einer Grossbäckerei. Aufgrund einer Mehlstauballergie erlässt die Unfallversicherung eine Nichteignungsverfügung und Frau B darf ihren Beruf als Bäckerin nicht mehr ausüben. Die Unfallversicherung hat für die Folgen dieser Berufskrankheit aufzukommen und wird während einer gewissen Zeit ein Übergangstaggeld und eine Übergangsentschädigung bezahlen, damit sich Frau B beruflich neu orientieren kann.

    Höhe des Taggeldes

    Bei voller Arbeitsunfähigkeit bezahlt die Unfallversicherung ein Taggeld von 80% des letzten vor dem Unfall bezogenen Lohnes, des sogenannten versicherten Verdienstes.

    Dieser versicherte Verdienst ist gesetzlich auf maximal 148‘200 Franken pro Jahr begrenzt. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit wird das Taggeld entsprechend gekürzt. Erhält die verunfallte Person zur Zeit des Unfalls bereits ein Taggeld (als Lohnersatz), so gilt der Lohn, der diesem Taggeld zugrunde liegt, als versicherter Verdienst.

    Beispiel

    Herr M arbeitet bei einer Strassenbaufirma und verdient 5'000 Franken pro Monat bzw. 65'000 Franken pro Jahr (inkl. 13. Monatslohn). Nach einem unglücklichen Sturz mit dem Fahrrad hat er sich einen Arm gebrochen und eine Fussverletzung zugezogen, so dass er für mehrere Wochen arbeitsunfähig ist. In dieser Zeit erhält er von der Unfallversicherung ein Taggeld von 142.50 Franken pro Tag (65’000 Franken x 0,8 : 365). Das Taggeld für den Monat April beträgt somit 4'275 Franken (30 Tage à 142.50 Franken).

    Hält sich eine Person auf Kosten der Unfallversicherung in einer Heilanstalt auf, erfolgt ein Abzug vom Taggeld. Bei Alleinstehenden ohne Unterhalts- und Unterstützungspflichten beträgt der Abzug 20% bzw. maximal 20 Franken, bei Verheirateten und bei unterhalts- oder unterstützungspflichtigen Alleinstehenden beträgt er 10% bzw. maximal 10 Franken. Hat die verunfallte Person für minderjährige oder in Ausbildung stehende Kinder zu sorgen, wird kein Abzug vorgenommen.

    Das Taggeld kann unter gewissen Umständen auch gekürzt werden. So ist eine Kürzung des Taggeldes zulässig, wenn die Person den Unfall bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens (z.B. beim Fahren in angetrunkenem Zustand) oder im Zusammenhang mit einem Wagnis (z.B. Base-Jumping) erlitten hat. Wenn die verunfallte Person für Angehörige zu sorgen hat, darf die Kürzung aber höchstens 50% betragen.

    Beispiel

    Hätte sich der Fahrradunfall von Herrn M bei einer riskanten Downhill-Abfahrt mit dem Mountain Bike ereignet, wäre dies als Wagnis qualifiziert worden. Herr M hätte mit einer Kürzung des Taggeldes rechnen müssen. Da Herr M Vater von 2 minderjährigen Kindern ist, dürfte die Kürzung aber maximal 50% betragen.

    Hat eine Person einen Nichtberufsunfall grobfahrlässig verursacht, so können die Taggelder während höchstens 2 Jahren gekürzt werden. Ansonsten ist bei Grobfahrlässigkeit keine Kürzung zulässig.  

    Keine Kürzung der Taggelder erfolgt, wenn die Gesundheitsschädigung nur teilweise Folge eines Unfalls ist.

    Beispiel

    Herr K hat sich bereits vor seinem Sturz vom Baugerüst hin und wieder über Rückenbeschwerden beklagt, seinen Beruf als Dachdecker aber immer ohne Einschränkung weiter ausgeübt. Durch den Sturz verschlimmern sich die Beschwerden derart, dass er seine Tätigkeit als Dachdecker vorübergehend nicht mehr ausüben kann. Obwohl Herr K bereits vor dem Unfall unter Rückenbeschwerden litt, darf das Unfalltaggeld nicht gekürzt werden.

    Beginn und Ende des Anspruchs

    Arbeitsunfähige Personen haben ab dem 3. Tag nach dem Unfall Anspruch auf ein Taggeld für alle Wochentage, einschliesslich der Sonn- und Feiertage. Solange Anspruch auf ein Taggeld der Invalidenversicherung (z.B. während einer Umschulung) oder auf eine Mutterschaftsentschädigung besteht, wird aber kein Taggeld bezahlt.

    Das Unfalltaggeld erlischt mit der Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit, mit dem Beginn einer Rente oder mit dem Tod der verunfallten Person. Ein Rentenanspruch entsteht frühestens dann, wenn von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung mehr erwartet werden kann. Ist dies der Fall, wird die Rentenprüfung eingeleitet und der Taggeldanspruch endet mit dem Rentenentscheid.

    Beispiel

    Herr K aus dem obigen Beispiel erholt sich nur schlecht von seinem Sturz vom Baugerüst. Seine Rückenbeschwerden beeinträchtigen ihn derart, dass er seinen Beruf als Dachdecker auch nach der medizinischen Behandlung nicht mehr ausüben kann. Er muss sich nun mit einer schlechter bezahlten Hilfsarbeit begnügen. Da von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung mehr erwartet werden kann, wird die Rentenprüfung eingeleitet. Nachdem eine Unfallrente zugesprochen wurde, endet das Unfalltaggeld von Herrn K.

    Verunfallt eine arbeitslose Person und ist sie zu mehr als 50% arbeitsunfähig, erhält sie das volle Unfallversicherungstaggeld. Beträgt die Arbeitsunfähigkeit mehr als 25%, aber höchstens 50%, erhält sie das halbe Taggeld. Bei einer Arbeitsunfähigkeit von 25% und weniger, entfällt der Anspruch auf ein Unfallversicherungstaggeld.  

    Kann die Unfallversicherung arbeitslose Personen unter dem Titel der Schadenminderungspflicht zur Aufnahme einer leidensangepassten Tätigkeit verpflichten? Dies ist zulässig, sofern die verunfallte Person in ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit voraussichtlich dauernd beeinträchtigt ist und nicht nur ein labiles Geschehen während einer zeitlich beschränkten Dauer vorliegt; und zwar selbst dann, wenn die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit unbestrittenermassen aufgrund der Unfallfolgen beeinträchtigt ist. Die Unfallversicherung muss der Person aber eine gewisse Anpassungszeit gewähren, um sich auf die neue Situation einzustellen (Stellensuche etc.). In der Praxis wird eine Anpassungszeit von 3-5 Monaten als angemessen erachtet. Für die Zeit danach hat die Unfallversicherung anhand eines Einkommensvergleichs zu prüfen, ob weiterhin noch ein Taggeld geschuldet ist. Je nach Ergebnis des so ermittelten Prozentsatzes verringert sich der Taggeldanspruch oder er erlischt ganz.

    Beispiel

    Frau T war arbeitslos, bezog Arbeitslosentaggelder und suchte eine Anstellung in ihrer angestammten Tätigkeit als Receptionistin, als sie Opfer eines Brandunfalls wurde. Trotz intensiver Behandlung verbleiben entstellende Brandnarben im Gesicht, so dass Frau T kaum mehr als Receptionistin tätig sein kann. Die Unfallversicherung darf Frau T deshalb auffordern, eine angepasste Tätigkeit aufzunehmen (z.B. in einem Call Center). Sie hat ihr hierzu eine Anpassungszeit von 3-5 Monaten zu gewähren. Da Frau T bei der Arbeitslosenversicherung einen versicherten Verdienst von 60’000 Franken aufwies, in einem Call Center zurzeit aber nur in einem 60%-Pensum einsatzfähig ist und dabei 30’000 Franken pro Jahr verdienen kann, wird ihr Unfalltaggeld um 50% gekürzt.

    Unfallkausalität als Voraussetzung

    Zwischen dem Unfall (bzw. der Berufskrankheit) einerseits und der Arbeitsunfähigkeit andererseits muss ein Kausalzusammenhang bestehen.

    Der Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn ohne Unfall (bzw. Berufskrankheit) die Arbeitsunfähigkeit gar nicht, nicht in gleicher Stärke oder nicht im gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre. Der Unfall muss also nicht die alleinige oder unmittelbare Ursache sein. Ist die Unfallkausalität einmal ärztlich nachgewiesen, so entfällt die Leistungspflicht des Unfallversicherers erst dann, wenn der Gesundheitsschaden nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht, die Unfallkausalität also wegfällt.

    Beispiel

    Herr W leidet schon seit einigen Jahren immer wieder an Rückenbeschwerden. Er arbeitet seit zwei Monaten als Plattenleger, als er bei der Arbeit ausrutscht und unglücklich stürzt. Weil Herr W von seinem Arzt wegen der Verschlimmerung seiner Beschwerden zu 100% arbeitsunfähig geschrieben wird, erhält er von der SUVA ein Taggeld.
    4 Monate nach dem Unfall gelangt der Vertrauensarzt der SUVA zum Ergebnis, die Folgen des Unfalls seien abgeheilt; die verbleibenden Beschwerden würden heute auch ohne das Unfallereignis bestehen. Wegen Wegfalls der Kausalität wird das Taggeld eingestellt.

    Kürzung des Taggeldes bei Überentschädigung

    Eine verunfallte Person, die bleibend in ihren Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt ist, erhält nach einer einjährigen Wartezeit eine IV-Rente.

    Solange von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung noch eine namhafte Besserung erwartet werden kann, richtet die Unfallversicherung aber weiterhin ein Unfalltaggeld aus. Die Person erhält also neben ihrer IV-Rente zusätzlich auch Unfalltaggelder und somit Leistungen verschiedener Sozialversicherungen. Dies darf nun aber nicht dazu führen, dass die Person dadurch mehr Einkünfte erzielt, als sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erzielen würde. Eine sogenannte Überentschädigung liegt dann vor, wenn die Sozialversicherungsleistungen den mutmasslich entgangenen Verdienst zuzüglich der verursachten Mehrkosten (z.B. Behandlungskosten) sowie allfälliger Einkommenseinbussen von Angehörigen übersteigen. Da die Renten der 1. Säule, also der IV und der AHV, nicht gekürzt werden dürfen, werden bei einer Überentschädigung die Unfalltaggelder gekürzt.

    Beispiel

    Herr T ist Hilfsarbeiter auf dem Bau und erleidet einen Skiunfall. Aufgrund der schweren Verletzungen ist er auch ein Jahr nach dem Unfall noch in medizinischer Behandlung und bis auf weiteres vollumfänglich arbeitsunfähig. Er erhält deshalb eine ganze IV-Rente in der Höhe von 2‘200 Franken pro Monat. Weil Herr T mit dem Unfallversicherungstaggeld von 4'300 Franken und der Rente von 2'200 Franken insgesamt 1'150 Franken mehr erhalten würde als sein mutmasslich entgangener Verdienst, wird das Taggeld um 1'150 Franken gekürzt.

    Die Frage nach einer Überentschädigung stellt sich auch, wenn eine Person verunfallt, die bereits eine IV-Rente bezieht und daneben erwerbstätig ist. Als mutmasslich entgangener Verdienst gilt in einem solchen Fall dasjenige Einkommen, das die betreffende Person bei voller Arbeitsfähigkeit erzielen würde.

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