Inklusionsindex 2023

Erste Schweizer Inklusionsstudie aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen

In welchen Lebensbereichen fühlen sich Menschen mit Behinderungen diskriminiert? Bisher gab es in der Schweiz keine Studie, die sich auf die Aussagen von Betroffenen stützt. Um diese Wissenslücke zu schliessen, hat Pro Infirmis den Inklusionsindex in Auftrag gegeben, welcher die Meinungen, Bedürfnisse und Ansichten von Menschen mit Behinderungen systematisch erfragt hat. Es ist die erste Studie zur Inklusion der Schweiz, bei der die Perspektive der Betroffenen im Zentrum steht. Am stärksten empfunden wird die Diskriminierung in den Bereichen Politik, Arbeit und Mobilität.

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4 von 5 Menschen mit Behinderungen fühlen sich stark ausgeschlossen

1433 Personen im Alter zwischen 16 und 64 Jahren, unterschiedlichen Geschlechts, mit unterschiedlichen Behinderungsarten und aus unterschiedlichen Sprachregionen haben mitgemacht und Fragen zu zehn Lebensbereichen beantwortet. Die Studie ist reprästentativ und zeigt: In der Schweiz fühlen sich 4 von 5 Menschen mit Behinderungen in mindestens einem Lebensbereich in ihrer Teilhabe stark eingeschränkt.



Am stärksten betroffen: Politik, Arbeit und Mobilität

Die Ergebnisse der Studie im Überblick: Die Prozentzahl gibt an, wie viele Menschen mit Behinderungen sich im jeweiligen Lebensbereich stark eingeschränkt fühlen.


  • Politik: 50%
  • Arbeit: 49%
  • Mobilität: 44%
  • Freizeit: 42%
  • Bildung: 37%
  • Wohnen: 22%
  • Beziehungen: 18%
  • Recht: 11%
  • Gesundheit: 10%
  • Information: 9%


Die Lebensbereiche

Politik

Menschen mit Behinderungen in der Schweiz fühlen sich im Lebensbereich Politik am stärksten ausgeschlossen.

3 von 4 Menschen mit Behinderungen

  • fühlen sich in der Politik nicht ausreichend repräsentiert;
  • finden, dass Politiker*innen zu wenig für Menschen mit Behinderungen tun;
  • denken, dass sie kaum Chancen haben, in ein öffentliches Amt gewählt zu werden.

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Arbeit

Jeder zweite Mensch mit Behinderungen in der Schweiz findet, dass er kaum eine Chance hat, in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen. Das finden vor allem diejenigen, die keine formale Ausbildung erworben haben. Menschen mit einer Sprachbehinderung (76%) und Menschen mit einer kognitiven Behinderung (69 %) räumen sich am wenigsten Chancen ein.

Die Begründung der Befragten:

  • Zu wenig Arbeitgebende sind bereit, Menschen mit Behinderungen einzustellen.
  • Es gibt kaum Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen.
  • Arbeitgebende glauben, man sei keine vollwertige Arbeitskraft.

Mobilität

Jede dritte Person mit Behinderungen fühlt sich in ihrer Fortbewegung eingeschränkt, und zwar hauptsächlich wegen baulicher Barrieren. Die Einschränkungen in diesem Lebensbereich verschärfen sich durch eine erschwerte Nutzung des öffentlichen Verkehrs. Rund die Hälfte der Menschen mit einer Körperbehinderung empfindet das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln als kompliziert.

Gründe für die Einschränkungen im öffentlichen Verkehr:

  • Die Haltestellen sind nicht barrierefrei.
  • Die Vorbereitung von Reisen mit dem öffentlichen Verkehr ist zu aufwendig.
  • Mitreisende versperren den Weg mit Gepäck oder geben die vorgesehenen Sitzplätze nicht frei.

 

Kultur, Sport und Freizeit

2 von 5 Menschen mit Behinderungen fühlen sich beim Besuch von Veranstaltungen eingeschränkt. Bei der Teilnahme an kulturellen oder sportlichen Aktivitäten liegt die empfundene Einschränkung sogar bei 50%.

Die genannten Gründe:

  • fehlende Finanzen;
  • bauliche Barrieren;
  • eine hohe körperliche oder psychische Belastung, um bei Freizeitaktivitäten mitzumachen.

Bildung

2 von 3 Menschen mit Behinderungen in der Schweiz fühlen sich in ihrem Bildungsweg eingeschränkt. Rund ein Drittel davon erwähnt unzureichend angepasste Lernbedingungen. Personen im Alter von 16 bis 24 Jahren bewerten diesen Lebensbereich am schlechtesten.

Am stärksten betrifft es Personen, die

  • sich eine Aus- oder Weiterbildung nicht leisten können;
  • keine anstrengende Hin- und Rückreise unternehmen können;
  • mit einer Sprachbehinderung leben.

Wohnen

Jeder zweite Mensch mit Behinderungen in der Schweiz ist mit der eigenen Wohnsituation zufrieden. Besteht jedoch der Wunsch oder die Notwendigkeit eines Wohnortwechsels, räumen sich die Befragten auf dem Wohnungsmarkt wenig Chancen ein.

  • Es gibt zu wenig Wohnungen, die auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind.
  • Barrierefreie Wohnungen sind schwer zu bekommen und/oder man kann sie sich nicht leisten.

Soziale Beziehungen

Jeder vierte Mensch mit Behinderungen in der Schweiz hat das Gefühl, auf Freundschaften verzichten zu müssen. Jeder Dritte gibt an, aufgrund seiner Behinderung keine Partnerschaft einzugehen. Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren fühlen sich besonders eingeschränkt. Die Gründe:

  • Angst, dem Partner oder der Partnerin nicht das geben zu können, was dieser oder diese wünscht;
  • Angst, eine Last für die Freund*innen, für den Partner oder die Partnerin zu sein;
  • Schwierigkeit, mit einer Behinderung Freundschaften oder eine Partnerschaft zu knüpfen und zu pflegen.

Recht

Obschon sich Menschen mit Behinderungen im Bereich Recht weniger diskriminiert fühlen als in anderen Bereichen, erlebt 1 von 4 Menschen mit Behinderungen das Gegenteil.

1 von 4 Menschen mit Behinderungen findet: 

  • Es gibt zu wenig Rechtsberatungsstellen für Menschen mit Behinderungen.
  • Es gibt zu wenige Rechtsanwält*innen, die Menschen mit Behinderungen bei ihren Rechtsfragen qualifiziert unterstützen können.

Gesundheit

Wie erleben Menschen mit Behinderungen Spital- und Arztbesuche und medizinische Betreuung in der Schweiz?

Die Antworten zeigen:

  • Jeder vierte Mensch mit Behinderungen fühlt sich im Schweizer Gesundheitssystem diskriminiert.
  • Viele dieser Personen denken, dass sie vom medizinischen Personal nicht ernst genommen werden.
  • Besonders diskriminiert fühlen sich Menschen mit einer schweren Behinderung sowie Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren.

Information und Kommunikation

Menschen mit Behinderungen fühlen sich im Bereich Information und Kommunikation wenig diskriminiert. Dennoch:

  • Die Kommunikation mit den Behörden ist zum Teil durch Barrieren erschwert (zum Beispiel, weil keine Leichte Sprache angeboten wird).
  • Einige empfinden es als schwierig, zuverlässige Informationsquellen zu finden, oder fühlen sich von den Behörden nicht ernst genommen.
  • Menschen mit einer Sprachbehinderung oder einer kognitiven Behinderung und Heimbewohner*innen fühlen sich häufiger eingeschränkt.

Stimmen zum Inklusionsindex

Nicole Sourt

Peter Ladner

Nouh Latoui

Nouh Latoui: Mobilität

Denise Carniel: Arbeit

Denise Carniel: Politik

Kim Pittet

Wie steht es um die Inklusion in der Schweiz?

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