Patientenrechte

In aller Regel ist eine medizinische Behandlung von einem Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und anderen Medizinalpersonen auf der einen Seite und den Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite geprägt. Dennoch können sich rechtliche Fragen ergeben, insbesondere wenn eine Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg führt.

In diesem Kapitel soll aufgezeigt werden, welchen rechtlichen Bestimmungen das Arzt-Patient-Verhältnis untersteht. Zudem sollen einzelne Fragen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Akteneinsicht und dem Selbstbestimmungsrecht beantwortet werden. Schliesslich werden Hinweise zur ärztlichen Haftpflicht gegeben. Auf eine umfassende Darstellung des Patientenrechts muss allerdings verzichtet werden.


    Das Arzt-Patienten-Verhältnis

    Rechtlich handelt es sich beim Arzt-Patienten-Verhältnis um einen Auftrag, der den entsprechenden Bestimmungen des Obligationenrechts (OR) untersteht. Dieser Vertrag wird nicht schriftlich, sondern mündlich durch konkludentes Verhalten abgeschlossen. Der Inhalt des Vertrags ergibt sich aus dem Gespräch zwischen Arzt und Patient.

    Der Arzt verpflichtet sich im Rahmen eines solchen Auftrags, den Patienten aufgrund seiner Schilderungen nach den Regeln der medizinischen Kunst zu untersuchen, Heilbehandlungen vorzunehmen, Medikamente abzugeben und Therapien zu verordnen. Dabei ist der Arzt nicht frei: Er muss seine Befunde offen mitteilen, diese mit seinem Patienten besprechen, mögliche Behandlungen und Alternativen aufzeigen und den Patienten über das weitere Vorgehen mitentscheiden lassen.

    Eine Ärztin wird in aller Regel vom Patienten persönlich ausgesucht. Er hat deshalb auch Anspruch darauf, von ihr persönlich behandelt zu werden, ausser er stimmt einer Übertragung an eine Drittperson zu. Dieses Prinzip leitet sich auch aus dem besonderen Vertrauensverhältnis ab, welches der Arzt-Patienten-Beziehung eigen ist. Ein Vertretungsverhältnis kann jedoch bei Ferienabwesenheiten der Ärztin oder in Notfallsituationen zulässig sein.

    Eine Patientin hat im Rahmen eines solchen Vertrags aber nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Dazu gehört nicht nur die Pflicht, das Honorar zu bezahlen. Die Patientin muss im Rahmen der Behandlung ebenfalls einen Beitrag leisten: Sie muss den Arzt über alle wichtigen Tatsachen, die für die Stellung der Diagnose und die Festlegung der Behandlung von Bedeutung sind, informieren. Frühere Krankheiten und Medikamentenunverträglichkeiten, deren Kenntnis für die Behandlung nötig ist, dürfen nicht verschwiegen werden. Auch muss die Patientin die Behandlungsmassnahmen des Arztes unterstützen, seine Empfehlungen befolgen und die verschriebenen Medikamente einnehmen.

    Das Spital-Patienten-Verhältnis

    Bei den Spitälern muss zwischen Privatspitälern und öffentlichen Spitälern unterschieden werden. Entsprechend sind die rechtlichen Beziehungen unterschiedlich geregelt.

    Wer in ein Privatspital eintritt, schliesst mit diesem einen Spitalvertrag ab, der wiederum im Wesentlichen den Bestimmungen des OR über den Auftrag untersteht. Das Spital verpflichtet sich in diesem Fall, nebst der medizinischen Behandlung auch die nötige Pflege und Betreuung sowie Unterkunft und Verpflegung sicherzustellen. Es haftet für die sorgfältige Erfüllung des Auftrags nach den Regeln der medizinischen Kunst.

    Ein besonderer Typ von Privatspitälern sind die Belegspitäler, in welchen „externe“ Ärztinnen und Ärzte mit eigener Praxis die medizinische Behandlung übernehmen. Hier bestehen im Grunde zwei parallele Verträge, jener mit der Belegärztin bzw. dem Belegarzt und jener mit dem Privatspital. Die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten ist in solchen Spitälern oft komplex. Massgebend sind die jeweiligen Regelungen in den Verträgen, welche zwischen dem Privatspital und den Belegärztinnen bzw. den Belegärzten abgeschlossen worden sind.

    Bei öffentlichen Spitälern (Kantonsspitäler, Regionalspitäler, Bezirksspitäler und Stadtspitäler) wird das Rechtsverhältnis zwischen Spital und Patient nicht durch einen privatrechtlichen Vertrag bestimmt, sondern durch die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Kantons. Die Rechte der Patientinnen und Patienten auf Information und das Selbstbestimmungsrecht gelten jedoch grundsätzlich auch in diesem Verhältnis. Zumindest in den allgemeinen Abteilungen besteht demgegenüber kein Anspruch auf Behandlung durch einen persönlich ausgewählten Arzt oder eine persönlich ausgewählte Ärztin. Schliesslich sind nicht die Haftungsbestimmungen des Privatrechts, sondern jene des öffentlichen Rechts massgebend.

    Recht auf Behandlung

    Weil die Arzt-Patienten-Beziehung einen privatrechtlichen Vertrag darstellt, gilt auch der Grundsatz der Vertragsfreiheit: Kein Arzt und keine Ärztin ist verpflichtet, jeden Patienten anzunehmen. Ablehnungen wegen Überlastung oder mangelnder fachlicher Qualifikation bezüglich eines besonderen Leidens sind also durchaus zulässig. Ebenfalls gestattet ist es einem Arzt, einen Patienten abzulehnen, von welchem bekannt ist, dass er die Rechnungen nicht bezahlt, und der z.B. auf einer von gewissen Kantonen im Zusammenhang mit der Nichtbezahlung von Krankenversicherungsprämien immer noch geführten „schwarzen Listen“ figuriert.

    Eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertragsfreiheit besteht in Notfällen: Alle kantonalen Gesundheitsgesetze verpflichten die Medizinalpersonen, in Notfällen Beistand zu leisten. In der Regel wird der Notfalldienst durch die Berufsorganisationen selber geregelt. Wer einen solchen Notfalldienst leistet, muss die entsprechenden Personen behandeln, nötigenfalls auch zu Hause besuchen und bei Bedarf in ein Spital einweisen.

    Hat eine Ärztin eine Patientin einmal aufgenommen, so ist sie auch vertraglich verpflichtet, ihr die nötige Behandlung tatsächlich zukommen zu lassen. Es besteht dann also eine Behandlungspflicht.

    Eine Ärztin kann ihren Auftrag theoretisch jederzeit wieder kündigen, allerdings mit einer Einschränkung: Die Kündigung darf nicht „zur Unzeit“ geschehen. Eine ärztliche Behandlung sollte nach allgemeiner Auffassung nicht unbegründet und leichtfertig abgebrochen werden. Ein Abbruch darf jedoch vorgenommen werden, wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist oder eine Patientin sich trotz wiederholten Mahnungen nicht an therapeutische Weisungen hält oder eine empfohlene Behandlung ablehnt. Die Ärztin muss allerdings in jedem Fall dafür sorgen, dass die Patientin genügend Zeit hat, einen neuen Arzt zu suchen, damit die nötige Behandlung sichergestellt bleibt.

    Beispiel

    Herr T hat bereits zweimal einen Arzttermin verpasst und er nimmt offensichtlich die vom Arzt verordneten Medikamente nur sehr unregelmässig ein. Unter diesen Umständen könnte sein Arzt wegen fehlender Mitwirkung seinen Auftrag kündigen. Weil sich aber der Gesundheitszustand von Herrn T in letzter Zeit bedrohlich verschlechtert hat und wegen zusätzlichen Komplikationen eine Spitaleinweisung wahrscheinlich ist, wäre eine kurzfristige Kündigung des Auftrags nicht zulässig.

    Aufklärungspflicht

    Damit Patientinnen und Patienten ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen können, müssen sie über die für einen Entscheid nötigen Informationen verfügen. Die Aufklärungspflicht gehört zu den allgemeinen Berufspflichten eines jeden Arztes und einer jeden Ärztin, unabhängig davon, ob dieser bzw. diese im Rahmen eines privaten Auftragsverhältnisses oder als Angestellter bzw. Angestellte eines Spitals arbeitet. Die Aufklärung hat durch den Arzt bzw. die Ärztin persönlich in mündlicher Form und auf verständliche Art und Weise zu erfolgen. Bei sprachunkundigen Patientinnen und Patienten muss der Arzt bzw. die Ärztin nach Möglichkeit Übersetzerinnen und Übersetzer beiziehen, oder die Patientin bzw. der Patient muss aufgefordert werden, selber jemanden mitzubringen, der die Übersetzung vornehmen kann.

    Worüber muss der Patient genau aufgeklärt werden?

    • Gesundheitszustand und Diagnose: Der Arzt hat den Patienten darüber aufzuklären, an welcher Krankheit er leidet und wie schwer er von dieser betroffen ist. Er hat ihn über die möglichen Entwicklungen und Gefahren seiner Krankheit ins Bild zu setzen. Bei Unsicherheiten hat er ihn auch auf Verdachtsdiagnosen hinzuweisen, aber nur wenn mit diesen ernsthaft zu rechnen ist.
    • Untersuchungen und Behandlungen: Der Arzt muss seinen Patienten auf anschauliche und verständliche Art über die von ihm vorgesehenen Untersuchungen und Behandlungen aufklären, und zwar – soweit es die Umstände erlauben – rechtzeitig vor einem Eingriff. Er muss auf die Erfolgschancen, Risiken von Komplikationen und Nebenwirkungen hinweisen, auch wenn diese als relativ gering einzustufen sind.
    • Behandlungsalternativen: Der Arzt muss aufzeigen, welches die möglichen Konsequenzen bei einem Verzicht auf die vorgeschlagene Behandlung sind, und welche alternativen Behandlungsmöglichkeiten in Frage kämen. Er hat dabei über Vor- und Nachteile dieser Alternativen aus seiner Sicht zu informieren.
    • Kosten: Empfiehlt ein Arzt eine Behandlung oder Arzneimittel, deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht oder nur auf besonderes Gesuch hin übernommen werde, so hat er seinen Patienten hierüber genau zu informieren.

    Beispiel

    Frau H leidet seit Geburt an Skelettdeformationen. Wegen einer Beinlängendifferenz und der dadurch entstehenden Fehlhaltung haben sich in den letzten Jahren erhebliche Rückenbeschwerden ergeben. Der Arzt empfiehlt Frau H eine Beinlängenkorrektur, wofür relativ komplexe orthopädische Eingriffe nötig sind. 
    Frau H hat Anspruch darauf zu erfahren, wie gross die Chancen sind, dass die Rückenbeschwerden nach einer solchen Operation abnehmen und mit welchen Risiken eine solche Operation verbunden ist. Der Arzt wird sie hierüber gewissenhaft und sachlich informieren müssen und ihr aufzuzeigen haben, welches die Alternativen (z.B. Anfertigung von Spezialschuhen) sind und wie gross die Chancen und Risiken bei dieser Variante sind. Er sollte Frau H auch darauf hinweisen, dass sie bei Bedarf bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung einholen kann.

    Vor komplexen Operationen werden die Patientinnen und Patienten oft aufgefordert, ein schriftliches Dokument zu unterzeichnen, in welchem sie bestätigen, dass sie über die Art des Eingriffs und die möglichen Risiken informiert worden sind. Solche Dokumente sollten nur unterzeichnet werden, wenn zuvor tatsächlich eine genügende mündliche Information stattgefunden hat.

    Früher ist bisweilen die Auffassung vertreten worden, die Ärztin dürfe dann die richtige Diagnose verschweigen, wenn befürchtet werden müsse, dass bei einer wahrheitsgetreuen Information die Heilung erschwert werden könnte. Heute wird diese Auffassung abgelehnt: Die Ärztin muss sich die Mühe nehmen, auch in „schwierigen“ Situationen mit dem nötigen Einfühlungsvermögen die Wahrheit zu vermitteln und Angst- und Schockreaktionen aufzufangen. Ein mündiger Patient hat Anspruch darauf zu erfahren, wie sein Gesundheitszustand ist.

    Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten

    Das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten ist das Recht, frei über den eigenen Körper zu entscheiden. Es ist Ausdruck des verfassungsmässigen Grundrechts der persönlichen Freiheit und des im Zivilrecht ebenfalls verankerten Persönlichkeitsrechts. Ein Eingriff in dieses Persönlichkeitsrecht ist nur mit Zustimmung der betroffenen Person zulässig. Oder anders ausgedrückt: Ein Eingriff ohne die Zustimmung ist widerrechtlich und kann Schadenersatzansprüche auslösen. Das gilt sowohl für die privat tätigen Ärztinnen, Ärzte und Spitäler als auch für die öffentlichen Spitäler.

    Damit das Selbstbestimmungsrecht ausgeübt werden kann, bedarf es zweier Voraussetzungen: Einerseits muss eine Person umfassend aufgeklärt worden sein, um eine Einwilligung in eine bestimmte Massnahme erteilen zu können, andererseits muss sie selber urteilsfähig sein, das heisst die Tragweite des Eingriffs verstehen und gestützt auf dieses Verständnis eine Entscheidung fällen können. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, so gilt das Selbstbestimmungsrecht uneingeschränkt: Der Patient bzw. die Patientin darf auch einen Eingriff ablehnen, der aus der Sicht der Ärztinnen und Ärzte lebensnotwendig ist.

    Beispiel

    Herr S hat sich einer komplexen Operation unterzogen. Nachdem er sich bereits 5 Tage im Spital aufgehalten hat, wünscht er heimzukehren. Die Ärzte erachten einen solchen Schritt als verfrüht, da mit Komplikationen zu rechnen ist und eine engmaschige Überwachung aus ihrer Sicht nötig erscheint. Herr S ist sich dieser Risiken bewusst, hält aber an seinem Wunsch fest. 
    Das Spital wird den Wunsch von Herrn S aufgrund des Selbstbestimmungsrechts respektieren müssen, falls Herr S urteilsfähig ist. Es wird Herrn S aber bitten, eine Erklärung zu unterzeichnen, in welcher er bestätigt, über die Risiken eines vorzeitigen Spitalaustritts vollumfänglich informiert worden zu sein. Dies verlangt das Spital aus haftungsrechtlichen Gründen.

    Es kann vorkommen, dass ein Patient einer Operation nach vorgängiger Aufklärung zugestimmt hat, dass aber während der Operation nicht erwartete erhebliche Komplikationen auftauchen. In diesem Fall dürfen die Ärzte nicht ohne weiteres eine Operationserweiterung ohne neue Zustimmung des Patienten vornehmen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn diese Erweiterung zur Abwendung einer akuten Lebensgefahr unumgänglich ist, eine Unterbrechung der Operation neue gefährliche Komplikationen verursachen würde oder wenn nicht ernsthaft zu erwarten ist, dass sich der Patient dieser Erweiterung entgegenstellen würde. Die mutmassliche Zustimmung des Patienten darf aber nicht ohne weiteres angenommen werden.

    Ist eine Person nicht urteilsfähig, so kann sie selber einer medizinischen Behandlung nicht zustimmen. In diesem Fall müssen andere Personen an ihrer Stelle die nötige Einwilligung erteilen. Wer diese Personen sind, ist im Erwachsenenschutzrecht geregelt. Es kann in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen im Kapitel „Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung“ hingewiesen werden.

    Sonderbestimmungen gelten unter anderem auch für den schwerwiegenden Entscheid über die Sterilisation einer urteilsunfähigen Person. Die restriktiven Voraussetzungen für einen solchen Eingriff sind in einem eigenen Gesetz (Sterilisationsgesetz) geregelt.

    Sterbehilfe

    Fragen rund um die Sterbehilfe werden heute kontrovers diskutiert. Während viele Menschen die Meinung vertreten, dass aus dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen auch das Recht abgeleitet werden muss, über den Zeitpunkt des Todes entscheiden zu dürfen, sehen andere in einer Liberalisierung auch eine problematische ethische Entwicklung, weil eine solche den Druck auf Menschen mit einer schweren Erkrankung oder mit einer Behinderung erhöhen könnte, aus dem Leben zu scheiden, um der Gesellschaft nicht mehr zur Last zu fallen.

    Welche rechtliche Regelung gilt nun aber in der Schweiz? Hier ist die aktive Sterbehilfe nicht erlaubt, und zwar selbst dann nicht, wenn sie auf ernsthaftes und eindringliches Verlangen einer urteilsfähigen Person erfolgt.

    Die passive Sterbehilfe wird demgegenüber in der Schweiz nicht bestraft. Sie besteht darin, dass auf lebensverlängernde Massnahmen bei Schwerstkranken verzichtet wird und dadurch der Todeszeitpunkt früher eintritt. Der Einsatz von palliativ-medizinischen Techniken zur Schmerzbekämpfung ist gestattet, auch wenn er mit dem Risiko einer Lebensverkürzung verbunden ist.

    Viele Menschen füllen heute Patientenverfügungs-Formulare aus, in welchen sie erklären, auf lebensverlängernde Massnahmen in gewissen Situationen verzichten zu wollen. Im Erwachsenenschutzrecht sind Form und Wirkungen dieser Patientenverfügungen gesetzlich geregelt (vgl. hierzu die Ausführungen im Kapitel Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung).

    Zunehmend in Anspruch genommen wird die Hilfe zum Suizid, wie sie beispielsweise von der Organisation Exit angeboten wird. Sie steht in der Schweiz nur dann unter Strafe, wenn sie „aus selbstsüchtigen Gründen“ geschieht; wenn ein Arzt demgegenüber einem urteilsfähigen Menschen gestützt auf dessen eindeutige Willensäusserung zu Medikamenten verhilft, die ihm eine Selbsttötung erlauben, macht er sich nicht strafbar.

    Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte

    Die Krankengeschichte ist die Dokumentation des Arztes über den Krankheits- und Behandlungsverlauf. Sie enthält die Aufzeichnungen über die Vorgeschichte, die Angaben des Patienten über seine Beschwerden, die Beobachtungen des Arztes und die von ihm erhobenen Befunde sowie die angeordneten therapeutischen Massnahmen, alles in zeitlicher Reihenfolge. Dazu zählen auch die medizinisch-technischen Aufnahmen, die verschickten Berichte an Arztkollegen sowie die eingegangenen Berichte von Spitälern und von anderen Ärzten.

    Alle Ärztinnen und Spitäler sind gesetzlich zur Führung einer solchen Dokumentation verpflichtet, um auch den Patientinnen gegenüber Rechenschaft ablegen zu können. Der Inhalt der Krankengeschichte muss wahr sein, die nachträgliche Abänderung und das Entfernen von Dokumenten sind selbstverständlich unzulässig.

    Patienten und Patientinnen haben ein Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte. Dieses Einsichtsrecht ist umfassend, es können nicht einzelne Blätter als „Notizen“ vom Einsichtsrecht ausgenommen werden, auch wenn diese Beobachtungen über den Patienten bzw. die Patientin enthalten. Denn Notizen, die für die Behandlung notwendige Angaben enthalten und z.B. auch von Hilfspersonen eingesehen und verwendet werden, gehören zur Krankengeschichte und unterliegen dem Recht auf Einsicht. Hingegen fallen persönliche Notizen, die die Ärztin oder der Arzt ausschliesslich für den Eigengebrauch erstellt hat, und die nicht der eigentlichen Behandlung dienen, z.B. reine Gedächtnisstützen, nicht darunter. Das Einsichtsrecht umfasst auch Schreiben von anderen Ärztinnen und Ärzten, die in der Krankengeschichte figurieren, selbst wenn diese verletzende Bemerkungen enthalten sollten. Das Einsichtsrecht wiegt schwerer als der Schutz der privaten Interessen von Kollegen und Kolleginnen des Arztes bzw. der Ärztin. Es kann in diesem Zusammenhang auch auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes verwiesen werden (vgl. das Kapitel Datenschutz), welches bezüglich der ärztlichen Krankengeschichten anwendbar ist.

    Keine Anwendung findet das eidgenössische Datenschutzgesetz auf die öffentlichen Spitäler der Kantone und Gemeinden. Die meisten Kantone haben jedoch in kantonalen gesundheitsrechtlichen Erlassen oder kantonalen Datenschutzgesetzen analoge Bestimmungen aufgenommen, welche das Einsichtsrecht in die Krankengeschichte sicherstellen. Ausnahmen finden sich in solchen Gesetzen höchstens bezüglich „besonders schützenswerter Interessen Dritter“, welche eine volle Einsicht verbieten können.

    Beispiel

    Frau B ist der Meinung, ihr Arzt habe die seit längerer Zeit bestehenden Symptome ihrer Krankheit falsch gedeutet und deshalb die rechtzeitige Einleitung therapeutischer Massnahmen verhindert. Sie erwägt die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen. Sie will jedoch zuerst einmal die Krankengeschichte studieren um sich ein besseres Bild von der Situation zu machen, und bittet um Einsichtnahme. 
    Der Arzt von Frau B verweigert die Herausgabe der Krankengeschichte, bietet seiner Patientin jedoch an, in seiner Praxis die Dokumente einzusehen. Dieses Vorgehen ist unzulässig. Entweder muss der Arzt die Krankengeschichte zusenden oder er fertigt Kopien an und schickt diese seiner Patientin.

    Bei psychisch beeinträchtigten Menschen fürchten viele Ärzte, dass die Einsichtnahme in die Krankengeschichte für die betreffenden Patientinnen und Patienten problematische gesundheitliche Reaktionen auslösen könnte. Das allein ist aber kein Grund zur Verweigerung der Einsicht.

    Die Bedeutung des Arztgeheimnisses

    Ärztinnen und Ärzte unterstehen dem Arztgeheimnis. Dieses Arztgeheimnis soll das Recht der Patientinnen und Patienten auf Schutz ihrer Geheimsphäre sichern. Eine Verletzung des Arztgeheimnisses ist strafbar.

    Das Arztgeheimnis umfasst alle Tatsachen über die Krankheit eines Patienten, über deren Ursachen und die vorgenommenen Behandlungen, also alles, was der Arzt im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit von einem Menschen erfahren hat. Selbst die Tatsache, dass sich eine Person bei einem bestimmten Arzt in Behandlung begeben hat, untersteht dem Arztgeheimnis.

    Das Arztgeheimnis verpflichtet die Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Apothekerinnen und Apotheker sowie alle therapeutisch tätige Personen und ihr Personal zu Verschwiegenheit: Sie dürfen ohne Einwilligung des Geheimnisträgers (d.h. des Patienten) weder mündlich noch schriftlich geschützte Informationen in irgendeiner Art und Weise an Drittpersonen weitergeben. Zu diesen Drittpersonen zählen selbst Familienangehörige. Auch an Arztkollegen dürfen solche Informationen ohne Einwilligung nicht weitergeleitet werden, ausser es handle sich um einen Kollegen, der zusammen mit dem Arzt an der Behandlung beteiligt ist. Gegenüber dem Patienten selber kann sich der Arzt jedoch selbstverständlich nicht auf das Arztgeheimnis berufen, um ihm irgendwelche Informationen vorzuenthalten.

    Der Patient kann den Arzt vom Arztgeheimnis entbinden und ihm dadurch erlauben, gewisse Informationen an Dritte herauszugeben. Besonders häufig geschieht dies nicht ganz freiwillig, sondern auf Druck von Versicherungen, welche diese Informationen im Hinblick auf den Abschuss einer Versicherung oder auf die Abklärung von Versicherungsleistungen benötigen. Erteilt der Patient keine Bewilligung, so kann die kantonale Aufsichtsbehörde den Arzt hierzu ermächtigen, wenn das Interesse an der Offenbarung gegenüber demjenigen an der Geheimhaltung überwiegt. Schliesslich findet sich im Strassenverkehrsgesetz eine Bestimmung, welche Ärztinnen und Ärzte ermächtigt, Personen auch ohne deren Einwilligung der zuständigen Behörde zu melden, wenn sie die Person nicht mehr als fahrtauglich betrachten.

    Haftung der Ärzteschaft und der Spitäler

    Ärztinnen und Ärzte sowie Spitäler sind verpflichtet, bei der Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten die nach den Umständen und den Regeln der medizinischen Kunst objektiv gebotene und zumutbare Sorgfalt zu beachten. Tun sie dies nicht, haften sie für den Schaden, der als Folge einer Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht entsteht.

    Medizinische Behandlungen sind immer mit gewissen Risiken verbunden. Ein Erfolg kann nicht garantiert werden und es können Komplikationen auftreten. Nicht jede solche Komplikation löst jedoch eine Haftung aus. Vielmehr muss sie auf einen eigentlichen Behandlungsfehler zurückzuführen sein. Es muss zudem zwischen dem Behandlungsfehler und dem Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen, damit eine Haftpflicht entsteht.

    Im Streitfall müssen die Patientinnen und Patienten den Behandlungsfehler und den Kausalzusammenhang beweisen. Das ist für medizinische Laien oft mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Bestreitet die Ärztin einen Fehler begangen zu haben, so bleibt meistens nichts anderes übrig, als sich sachkundig medizinisch und juristisch beraten zu lassen. Als erstes muss Einblick in die Krankengeschichte genommen werden und es müssen andere wichtige Dokumente beschafft werden. Dann muss in der Regel ein medizinischer Gutachter gesucht werden, der möglichst im Auftrag beider Parteien bereit ist, eine Einschätzung vorzunehmen. Sobald ein Gutachten vorliegt, das den Behandlungsfehler bejaht, gelingt es in der Regel sich zu einigen.

    Eine Haftung kann jedoch auch als Folge einer Verletzung der Aufklärungspflicht entstehen. Hat ein Arzt nicht über die Risiken eines Eingriffs informiert, so fehlt es an einer rechtsgültigen Einwilligung in den Eingriff. Führt dieser zu einem Schaden, so haftet der Arzt unabhängig davon, ob er bei der Behandlung selber einen Fehler begangen hat. Hier liegt nun also eine umgekehrte Beweislast vor: Der Arzt muss den Nachweis erbringen, dass er seine Patientin korrekt aufgeklärt und diese gestützt darauf eine gültige Einwilligung erteilt hat. Kann er dies nicht beweisen, so bleibt dem Arzt noch die Möglichkeit nachzuweisen, dass die Patientin als vernünftiger Mensch auch bei korrekter Aufklärung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dem Eingriff zugestimmt hätte.

    Beispiel

    Frau R leidet an einer schweren Diskushernie. Der Arzt schlägt ihr als operativen Eingriff eine Laminektomie vor. Er weist nicht auf das Risiko hin, dass dieser Eingriff zu einer vollständigen Lähmung beider Beine führen kann. Genau diese Folge tritt nun aber nach der Operation ein. 
    Der Arzt hat seine Aufklärungspflicht klar verletzt. Wenn Frau R glaubhaft machen kann, dass sie bei richtiger Aufklärung in Anbetracht der eher bescheidenen Erfolgsaussichten und erheblichen Risiken der Operation auf diese verzichtet hätte, muss die Versicherung des Arztes Schadenersatz leisten.

    Im Zusammenhang mit Haftpflichtansprüchen aus ärztlicher Sorgfaltspflichtverletzung sind die Verjährungs- und Verwirkungsfristen unbedingt zu beachten:

    • Vertragliche Haftpflichtansprüche (auf Schadenersatz oder Genugtuung aus vertragswidriger Körperverletzung oder Tötung eines Menschen) verjähren mit Ablauf von drei Jahren ab Kenntnis des Schadens, jedenfalls aber innerhalb von 20 Jahren seit der schädigenden Tat. Diese Fristen kommen immer dann zur Anwendung, wenn im Rahmen eines Auftrags mit einem Arzt bzw. einer Ärztin oder einem Privatspital ein Behandlungsfehler begangen worden ist und daraus eine Haftpflicht abgeleitet wird.
    • Wird ein Schadenersatz gegenüber einem öffentlichen Spital geltend gemacht, so sind die Verwirkungs- und Verjährungsfristen der kantonalen Gesetzgebung zu beachten, welche oft sehr viel kürzer sind.

    Rechtliche Grundlagen

      • Rechte und Pflichten aus dem Auftragsverhältnis:
        Art. 394 ff OR
      • Rechte und Pflichten gegenüber öffentlichen Spitälern: Kantonale Spitalgesetze
      • Rechenschaftspflicht des Auftragnehmers:
        Art. 400 OR
      • Widerruf und Kündigung des Auftrags:
        Art. 404 OR
      • Vertretung urteilsunfähiger Personen bei medizinischen Behandlungen:
        Art. 377-379 ZGB
      • Sterilisation bei urteilsunfähigen Personen:
        Sterilisationsgesetz

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