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Unterstützung für Menschen mit Behinderung am Übergang zum Rentenalter

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Immer mehr Menschen mit Behinderung erreichen das Rentenalter und wechseln von der Invalidenversicherung in die AHV sowie von Pro Infirmis zu Pro Senectute. Pro Infirmis Aargau hat daher vor drei Jahren an einem Tandem-Projekt ins Leben gerufen, denn nicht allen Betroffenen fällt dieser Wechsel zu einer neuen Organisation leicht.

Die Rahmenbedingungen der beiden Organisationen prägen deren Hilfeangebot und die Intensität der Unterstützung massgeblich. Zudem ändert sich durch den Wechsel auch die Beratungs- bzw. Vertrauensperson. Das Projekt Tandem im Kanton Aargau zeigt, wie ein gemeinsamer Ansatz den Zugang zur Beratung und Unterstützung im Alter erleichtern kann.

Die beiden Pro-Werke bilden Tandems

Im Dezember 2022 trat die Geschäftsleitung der Pro Infirmis Aargau mit einem wichtigen Anliegen an die Pro Senectute Aargau heran: den Übergang von Menschen mit einer Behinderung ins AHV-Alter zu erleichtern. Die Schwelle in diesem Übergang ist vor allem für vulnerable Menschen mit Behinderung anspruchsvoll. Sie müssen sich auf neue Beratungspersonen, Beratungsstellen und Hilfeangebote einlassen. Es wechseln nicht nur Ansprechpersonen, sondern auch Leistungsansprüche und Hilfestrukturen, die zunächst neu und unvertraut sind.

Aufgrund der demografischen und medizinischen Entwicklung ist laut ARTISET, dem Branchenverband der Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf im Kanton Zürich, zu erwarten, dass die Anzahl der Personen, die im Alter nicht nur alt, sondern auch körperlich oder psychisch beeinträchtigt sind, zunehmen wird. Diese Betroffenengruppe droht zunächst abzutauchen und nimmt gesetzliche Leistungen oft erst einmal nicht in Anspruch. Die Probleme des Alltags werden anfänglich auf eigene Faust gelöst – oft unprofessionell und mit finanziellen Nachteilen durch den Nichtbezug von Sozialleistungen. Teilweise nehmen diese Menschen erst einige Jahre später Kontakt zu Pro Senectute auf, dann allerdings mit grösseren finanziellen, administrativen und sozialen Problemen.

Diese Erfahrungen aus der Beratungspraxis führten zu einer spannenden Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen.

Gemeinsame Haltung

In einem Gespräch zwischen den Geschäftsleitungen und der Bereichsleitung der Sozialberatungen wurde schnell deutlich, dass wir uns gemeinsam für die Verbesserung der Zugänglichkeit und der gewinnbringenden Zusammenarbeit für die Menschen, die unsere Beratung und Begleitung brauchen, einsetzen wollen. Dabei ging es immer auch darum, voneinander zu lernen, sich gegenseitig Netzwerke zur Verfügung zu stellen und Beratungsansätze gemeinsam zu erarbeiten. Ziel war es, dass Menschen mit einer Behinderung eine auf Vertrauen, Kontinuität und Fachkompetenz beruhende Beratung durch Pro Senectute Aargau und deren Angebote erhalten. Zudem sollte den Mitarbeitenden von Pro Infirmis eine nachhaltige Übergabe der Beratungsdossiers und der konkreten Beratungsarbeit an Pro Senectute gelingen – ebenso wie die Vermittlung anderer Angebote, etwa Kurse, administrative Unterstützung und Hilfen im Haushalt für Menschen im Alter.

So startete das Tandem operativ

Potenzielle Ratsuchende wurden sechs Monate vor dem Renteneintritt von der Pro Infirmis angeschrieben. Sie wurden nach ihren Bedürfnissen befragt und zu einer ersten Beratung eingeladen. So konnte der Übergang der Fallführung von der Pro Senectute zu Pro Infirmis und zwischen den beteiligten Beratungspersonen gut koordiniert, mit den Ratsuchenden abgesprochen und mit Rücksicht auf deren Bedürfnisse vollzogen werden. Das neu geschaffene Tandem ermöglichte einen behutsamen Wechsel, der von den Ratsuchenden nicht mehr als Bruch, sondern als behutsame Veränderung wahrgenommen wurde.

Nach einem halben Jahr trafen sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe für eine erste Zwischenbilanz und um erste Anpassungen und Korrekturen der Vorgehensweise zu vereinbaren. Die Endauswertung und die definitive Prozessbereinigung fanden nach zwölf Monaten statt.

Eine erste Zwischenbilanz

Nach einem Jahr Pilotphase mit 45 Neurentner*innen wurden 15 begleitete Übergaben erfolgreich durchgeführt.

Wir haben viel voneinander gelernt. Insbesondere haben die Sozialarbeitenden erfahren, über welche Angebote die beiden Organisationen verfügen und welche Ansprüche infolge der Besitzstandswahrung in der Beratung beachtet werden müssen – so zum Beispiel der Anspruch auf Hilflosenentschädigung oder auf Hilfsmittel. Zudem erhielten die Mitarbeitenden von Pro Senectute eine gute Einführung zu Assistenzbeiträgen, etwa dass Menschen, die vormals im IV-Bezug keine Assistenzbeiträge bezogen haben, diese auch in der AHV nicht mehr beantragen können.

Pro Infirmis wendet im Durchschnitt mehr Zeit für die Beratung von Menschen mit Behinderung auf als Pro Senectute bei ihrer Klientel. Deshalb ist es für den Erfolg des Übergangs entscheidend, ein besonderes Augenmerk auf die Erwartungen und die Auftragsklärung zu legen.

Die Prozesse im Übergang wurden angepasst. So informiert Pro Infirmis die gesamte Klientel ein halbes Jahr vor dem AHV-Beginn über den Übergang und bietet eine begleitete Triage an. Pro Senectute weiss heute, wann Menschen im AHV-Alter spezifische Hilfestellungen weiterhin bei Pro Infirmis erhalten.

Was haben wir gelernt?

Gute Innovationen und Kooperationen müssen nicht kompliziert sein. Wichtig ist der Grundsatzentscheid, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen und voneinander lernen. Dabei braucht es ein klar definiertes Ziel, eindeutige Absprachen, eine sorgfältige Ressourcenplanung und definierte Kommunikationskanäle. Zuständigkeiten müssen geklärt und Termine geplant sein.

Um Nachhaltigkeit zu sichern, braucht es ein klares Commitment der Organisationen. Es besteht die Gefahr, dass die Aufgabe nach einem Pilotprojekt im Alltag aus dem Blick gerät. Aus diesem Grund wurden regelmässige Treffen zur Stärkung der Kooperation innerhalb des Tandems vereinbart.

Ausblick

Eine weitere spannende Entwicklung wäre die Einbeziehung der betroffenen Menschen selbst in die Planung und Auswertung. Interessant für die weitere Projektentwicklung könnten die Zufriedenheit der Ratsuchenden, die erreichte materielle Versorgung und schliesslich auch die Einschätzung der Klient*innen zu ihrer Selbstbestimmung und ihrem Wohlbefinden im Alltag sein. Diese Klient*innenperspektive wäre eine spannende Herausforderung für eine zweite Projektphase.

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